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Christian

Tot auf dem Rasen – und zurück ins Leben

Scheisse, was ist denn jetzt los! Das war mein letzter Gedanke.

Kurz vorher ging das Licht aus. Zuerst dachte ich: jetzt ist das Flutlicht ausgefallen. Aber es war nicht einfach Dunkel geworden, es war GANZ dunkel!
Dann bin ich runter auf die Knie: Scheisse, was ist denn jetzt los!
Jeden Freitag und jeden Montag treffen sich die Jungs auf der Fohlenweide um zweimal die Woche Fußball zu spielen, das machen wir schon seit über 30 Jahren so. Ich hatte nichts gemerkt. Kein Herzrasen, kein Schwitzen, gar Nichts. Der Ball war weit weg, wir sortierten die Abwehrreihen wieder. Plötzlich ging das Licht aus und ich runter auf die Knie…

Die folgenden Minuten kenne ich nur aus Erzählungen:
Wartet mal, da stimmt etwas Nicht. Tobi hat sofort reagiert und fing umgehend an mich zu reanimieren. Arme durchstrecken und seine 100 Kilogramm runtersausen lassen. Wieder und wieder und wieder. Drei Rippen hat er mir dabei gebrochen. Karl rief die Notfallnummer 112. Bei der Ferndiagnose an der anderen Seite der Leitung waren Sie sich sicher: Der hat einen epileptischen Anfall. Jetzt machen die Jungs ja nie das, was man ihnen sagt. In diesem Fall, zu meinem Glück. „Das ist Quatsch, der hat keinen epileptisch Anfall“.
22 Minuten haben sie mich reanimiert, 15 davon der Tobi. Der schier besessen davon war mich jetzt und hier nicht gehen zu lassen. Aus Erzählungen weiß ich, dass er nicht mehr ansprechbar war. Völlig durchgeschwitzt pumpte er unaufhörlich, um mich am Leben zu halten. Andere weinten und klagten und liefen verzweifelt umher. Später sagt einmal einer: „Weißt du, in diesem Augenblich warst du für 21 von uns 22 tot!“
Aufgewacht bin ich wieder, als mich die Sanitäter verladen haben. Damit ich in den Kurven nicht von der Trage falle, gibt es seitliche Bügel die hochgeklappt werden. Dabei haben sie mir das Bein eingeklemmt.
„Hey, passt mal ein bisschen auf.“
„Herr Glück, können Sie mich hören?“
„Ja“.
„Wissen Sie, dass Sie tot waren?“
„Nein, weiß ich nicht.“
„Wir bringen Sie jetzt erstmal ins Klinikum.“
Für meine Mitspieler war das natürlich eine Befreiung. Ich war wieder da und sofort wieder am meckern…
In der Notaufnahme beim CT haben sie mir zur Begrüßung erst mal mein Lieblingstrikot von Sankt Pauli zerschnitten. Auf meine scherzhafte Frage, ob das den wirklich sein muss, bekam ich ein: „Herr Glück, Sie haben jetzt ganz andere Probleme.“
Aber es war auch klar: Wer über seine Situation noch scherzen kann, der hat noch alle Tassen im Schrank. Dann findest du dich wieder auf der Intensivstation, mit noch schmutziger Hose und Stutzen und fragst dich: „Nichts gebrochen, kein Blut, kein Gips, kein Verband. Was war denn DAS jetzt.“

Zur Diagnose: Warum? Ich weiß es nicht genau. Das konnte mir auch keiner so genau sagen. Verschleppte Grippe, öfter mal Entzündungen an den Zähnen, keine Ahnung.
Zu dieser Zeit habe ich zweimal die Woche Fußball gespielt und das oft bei 30 Grad im Schatten. Ich war immer ein sportlicher Typ habe mit drei Jahren zum Turnen angefangen. Ok, Kinderturnen aber durchgezogen bis ich 15 war. Ich war in jeder Schülermannschaft.
Egal ob Basketball, Handball, Fußball, Volleyball, 3000 Meterlauf. Beim Turnen in der Mannschaft mehrmals Stadtmeisterschaften gewonnen. Leidenschaftlicher Snowboarder von Anfang Dezember bis spät in den April. Plötzlich liegst du tot am Rasen. Versteht mich nicht falsch aber, es war nicht unangenehm. Ich hatte keine Angst. Es war ein bisschen wie im Freibad mit geschlossenen Augen in der Sonne liegen. Weich, warm, geborgen und angenehm. Umgeben von dem Gemurmel der Stimmen um dich rum.

Ich, Christian Glück. Habe meinen eigenen Tod überlebt. Bin sozusagen von den Toten auferstanden. Soweit die Heldengeschichte.

Ich hatte lange keine Ahnung. Natürlich macht das was mit dir. Du hast keine offensichtlichen Verletzungen. Gut, die Medikamente und Ihre Wirkungen und Nebenwirkungen machen dir zu schaffen. Am Anfang war ich müde, müde, müde und schleppte mich durch den Tag. Wohnung aufräumen, Wäsche waschen ging nur am Wochenende. Manchmal habe ich das Aufräumen auch ausfallen lassen. Ich hatte zu der Zeit eine Englische Bulldogge. So ein Hund ist sehr hilfreich. Er zwingt dich zweimal am Tag raus zu gehen, bei Wind und Wetter. Nach außen versucht du weiterhin Stärke zu vermitteln: Nein, nein. Alles in Ordnung. Es war nichts. Alles gut.

Zwei Jahre später ist mir das auf die Füße gefallen. Nichts war gut. Kein, alles ist in Ordnung. Das hat mich meine Beziehungen gekostet, nach 15 Jahren habe ich den liebsten und vertrautesten Menschen verloren den ich kannte. Ich wurde dünnhäutig, übersensibel. Konnte Kritik schwer zu ertragen. Mein verunsicherte Partnerin wusste nicht mehr wie sie mit mir umgehen soll, wie sie mich ansprechen soll.

Doch! Das macht etwas in dir, wenn du plötzlich tot auf dem Rasen liegst. Ich habe eine Psychotherapie begonnen und mir eine Selbsthilfegruppe gesucht. Dort waren Menschen mit ähnlichen Erfahrungen, Ängsten und manchmal auch Erkenntnissen. Ich will nicht sagen, wir sind alle Gleichgesinnte, eher Gleichbetroffene, trotz unterschiedlicher Diagnosen. Aber es gibt Leute an denen man sich auch ein Beispiel nehmen kann. Mal im positiven Sinn. Manchmal auch als ein Beispiel, dem man auf keinen Fall folgen will.

JA. Es ist etwas in deinem Leben passiert und das Leben das du vor deinem Ereignis hattest, kriegst du vermutlich so nicht mehr zurück. Aber ich habe mich seit meinem Ereignis mit so vielen neuen Dingen beschäftigt, Seminare besucht, mich mit neuen, mir fremden Menschen über private hochsensibles Thema ausgetauscht,
dass es vielleicht ein besseres Leben sein kann…