Gleisendes Licht. Azurblauer Himmel, der durch zartes grünes Blattwerk scheint. Ich schaue zur Decke, wartend. Dreieinhalb Meter über uns, den Kranken, drängt sich das Bildwerk auf. Für Liegende, an der Schwelle zum nie mehr Aufstehen. Das Mosaik besteht aus einundzwanzig Acrylplatten, die im Querformat sieben mal drei angeordnet sind. Ein bizarres Fresko, das Zuversicht und Ruhe ausstrahlen soll, so meine Idee. Jedoch erinnert es mit seiner Bildsprache, die ein gekonnter Mix aus Zeugen Jehovas-Broschüre und Nahtoderfahrungs-Erzählung darstellt, eher an einen makabren Witz.
Ich warte, am ganz Körper verkabelt nach oben starrend, auf meinen Eingriff. Mich beschäftigt dabei die Frage, welch wirrer Kopf auf die Idee kommt, den Warteraum für den OP zu einer Aussegnungshalle zu gestalten.
Dennoch dankbar: So vergeht die Zeit des Wartens mit wichtigen Gedanken an die großen Fragen des Moments im Fluge (Langstrecke).
Dann: Stille. Drei Tage lang.
Stimmen und Durst sind die ersten Wahrnehmungen meiner Rückkehr von der Reise ins Nichts. An den Übergang erinnere ich mich nicht. Gab es einen? Ich war einfach wieder da – oder sollte ich sagen „noch“? Gierig trinke ich das kühle Wasser, am Strohhalm saugend, den mir eine weiße Gestalt – ein Engel? – an die Lippen führt. Es fühlt sich gut an: als ob mein Lebens-Akku auf zwei Prozent Ladung hochschnellt. Am nächsten Tag lerne ich, meine Arme zu heben – erst den linken, dann den rechten. Angeleitet von der Schwester, die so kraftvoll jetzt oft an meiner Seite ist, übe ich das Wieder-da-sein durch zaghaftes Bewegen immer weiterer Regionen meines Körpers.
Es folgen Tage des Erwachens – ein Erwachen vom Vorher ins neue Jetzt. Es zeichnet sich dadurch aus, dass mein Aufsetzen im Klinikbett zum Feiertag gerät. Am achten Tag meines Erwachens fordert der Schwester-Engel, ich solle heute aufstehen. Stehen lernen, einen Schritt vor dem Gehen. Erschrocken von der Forderung nach dem Unmöglichen, gerate ich in Panik: Schon heute? Das schaff ich nicht!
Und doch – der Ohnmacht entkommen – ich stehe! An meinen Sohn denkend, erfasst mich ein seltsames Gefühl, das sich am besten beschreiben lässt mit Neu-geboren-sein, bewusst, selbstbewusst. Ich lächele zur Schwester hin, ihre weiße Uniform strahlt noch heller als sonst. Ein Krankenpfleger, der das Klinikzimmer betritt, ruft aus mit sprühender Spontanität: Johannes, er steht! Zur Kollegin hin: Bist du Jesus? Sie kichert verlegen und dreht sich gerührt weg. Ein einzigartiges Momentum, Achterbahngefühl als Bild festgehalten in mir – für immer.
Das Leben hier geht also weiter – neu, anders aufregend. Und: Engel gibt es.