Mein Körper ist Krankheit gewöhnt. Ein Gendefekt verursacht bei mir eine seltene Muskelerkrankung. Sie schreitet schleichend voran. Manchmal bekomme ich es selbst gar nicht richtig mit, bis dann der eine Teller zu schwer wird oder ich die Stufe vor dem Haus plötzlich nicht mehr ohne Hilfe schaffe. Doch man lernt damit umzugehen. Trotz meiner körperlichen Einschränkungen eröffnete ich 2018 meinen lang ersehnten Traum: ein kleines gemütliches Café. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, die Gastgeberin zu spielen, aber die Arbeit trieb mich auch regelmäßig an meine körperlichen Grenzen.
Mein Herz spielte bis dato nur eine untergeordnete Rolle. Einmal im Jahr ging ich zur kardiologischen Kontrolle. Da bekannt war, dass die Erkrankung auch das Herz beeinträchtigen kann. „Aber bei mir doch nicht“, dachte ich immer. Im Herbst 2020 kippte ich bei der Arbeit um. Mein Herz leitete die Signale nicht richtig weiter. Es wurde mir zum Schrittmacher geraten. Ich war fix und fertig. Nein, sowas wollte ich nicht. Ich bin doch nur einmal ohnmächtig geworden. Doch mein Verstand sagte mir: „Mach das, Anja. Zur Sicherheit“. Also, ließ ich mir den kleinen Taktgeber einsetzen. Die ersten Monate waren die Hölle. Eine Elektrode war zu nah am Nerv. Ständig zuckte es am Zwerchfell. Ich hatte nachts Panik und Schmerzen im Brustkorb. Die Schmerzen kamen von einer kleinen Einblutung und verschwanden mit der Zeit. Von wegen Sicherheit. Für mich war der Schrittmacher ein Fremdkörper. Und so behandelte ich ihn auch anfangs. Doch mit der Zeit gewöhnte ich mich an seine Existenz und versuchte mich mit ihm zu arrangieren.
Im Juni 2022 nicht mal zwei Jahre später blieb mein Herz einfach stehen. Ohne Vorwarnung. Kurz zuvor war ich bei der Kontrolluntersuchung. Keine besonderen Auffälligkeiten. Meine Rettung war die Geistesgegenwart einer guten Freundin, die sofort mit der Herzdruckmassage begonnen hat. Ein Glück saß ich nicht, wie geplant schon im Auto. Der Notarzt musste mich mehrmals schocken und ich wurde ins künstliche Koma versetzt. Das Erste was ich noch dem Erwachen mitbekam, war die Aussage, dass ich nun einen Defibrillator brauche. Ehe ich mich’s versah, wurde ich schon im Rettungswagen nach München ins Herzzentrum gebracht. Keine Zeit zum Verarbeiten der Ereignisse. Nach dem Eingriff war sofort Reha angesagt. Meine Psyche war am Boden. Die Angst jederzeit umzufallen oder noch schlimmer bei vollem Bewusstsein geschockt zu werden wurde mein ständiger Begleiter. Meine Nächte waren schlaflos. Erst unser Familienurlaub in Schweden brachte etwas Ruhe.
Im Herbst wurde mein größter Albtraum wahr. Ein Schock bei vollem Bewusstsein. Und das auch noch mitten auf dem Schulhof meiner Kinder. Danach war ich unheimlich ängstlich. Bin kaum noch unter Leute gegangen. Habe mich nirgendwo alleine hin getraut. Wie sollte das nur weitergehen? Sehr belastend, auch für meine Familie.
Seelischen Beistand fand ich dann erst im Verein. Hier waren gleich mehrere Personen, die Ähnliches erlebt hatten. Zwei Seminare später konnte ich mich für den Alltag stärken. Die Ängste waren nicht mehr allgegenwärtig. Stück für Stück gewann ich wieder mehr Selbstvertrauen in meinen Körper.
Dank meiner Medikamente ist mein Zustand im Moment stabil. Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Muskeln und Herz werden mit der Zeit schwächer. Vielleicht brauche ich irgendwann ein neues Herz. Vielleicht hat die Forschung bis dahin neue Therapien entwickelt. Bis dahin heißt es: „Zähne zusammenbeißen und weitermachen.“ Denn das Leben hat noch so viel Schönes zu bieten!